Startseite Inland Warum sinkt die Wahlbeteiligung in Liechtenstein? Judith Oehri analysiert

Warum sinkt die Wahlbeteiligung in Liechtenstein? Judith Oehri analysiert

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Die verschiedenen Abstimmungen in den letzten Monaten hatten unterschiedliche Themen und Ausgänge. Eine Gemeinsamkeit ist auffällig. Besonders bei den jüngeren ist die Wahlbeteiligung deutlich zurückgegangen. Während bei Senioren rund 80 Prozent an den Abstimmungen teilnehmen, sind es bei den unter 30-Jährigen nur etwas mehr als 50%. Über die Gründe und was man dagegen tun könnte, haben wir mit Judith Oehri, Präsidentin des Fördervereins Akademie für Angewandte Politik und Leiterin der Politik-Akademie gesprochen.

Landesspigel: Frau Oehri, warum gehen so wenige junge Menschen in Liechtenstein wählen?

Judith Oehri: Einleitend gilt festzuhalten, dass bereits das Liechtenstein Institut sich im Beitrag 52 aus dem Jahre 2023 mit den Einstellungen jungen Menschen zu Politik, Gesellschaft und Beruf und damit auch zur Wahlbeteiligung auseinandergesetzt hat. Die Gründe für die fehlende Wahlbeteiligung sind wahrscheinlich sehr unterschiedlich und können nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Meine Vermutung ist, dass insbesondere Gruppe von 25- bis 34-jährigen, bei denen die Wahlbeteiligung am tiefsten ist, in diesem Alter mit Studium, Familiengründung und Auslandsaufenthalten (Reisen) beschäftigt sind. Viele in dieser Altersgruppe könnten sich auch – obwohl sie den Wohnsitz in Liechtenstein haben – im Ausland (Studium/Job) befinden. Man lässt sich die Abstimmungs- und Wahlunterlagen dann nicht zuschicken beziehungsweise kommt nicht für jede Abstimmung ins Land.

Landesspiegel: Welche Massnahmen könnten zu einer höheren Wahlbeteiligung führen?

Judith Oehri: Eine höhere Wahlbeteiligung könnte man bei den jüngeren Menschen sicherlich erreichen, wenn das e-Voting (Digitale Abstimmung, anm.) realisiert würde. Die Befürchtung, dass dann eine erhöhte Wahlfälschung möglich sei, teile ich nicht. Heute kann man schon die Unterschrift einer Person fälschen, denn die Unterschriften können bei der Briefwahl nicht verifiziert werden. Die Regierung hat da auch schon signalisiert, sie wären bereit das e Voting anzugehen, der Landtag müsste halt den Auftrag erteilen.

Landesspiegel: Wie sehen Sie die Zukunft der politischen Mitbestimmung der jungen Generation in Liechtenstein?

Judith Oehri: Leider hat die tiefe Wahlbeteiligung der jungen Leute zur Folge, dass die Zukunft des Landes von der älteren Generation bestimmt wird. Es wäre deshalb enorm wichtig, dass die jungen Leute zu den Abstimmungen beziehungsweise Wahlen gehen, denn sie müssen die Konsequenz der jeweiligen Abstimmung beziehungsweise Wahl tragen.

Es ist oftmals für junge Leute sehr schwierig, die Komplexität der Abstimmungen zu verstehen. Ich denke, wenn es um Bildung (Schule wohin) ginge, dann wäre die Wahlbeteiligung bei den jüngeren Menschen höher als wenn es zum Beispiel um ein Bürgerrechtsgesetz geht.

Landesspiegel: Sabine Monauni hat gesagt, die Wahlbeteiligung sinke nicht. Wie sehen Sie das?

Judith Oehri: Da habe ich wahrscheinlich einen anderen Blickwinkel als sie. Die Wahlbeteiligung ist konstant hoch in der Altersgruppe 50 plus und sinkt danach markant. Da die grossen Jahrgänge 50 plus sind, verfälscht es m.E. das Gesamtbild. Die Wahlbeteiligung sinkt, bei den jüngeren Leuten.

Landesspiegel: Ist es nicht so, dass die Abstimmungsbeteiligung auch vom Thema abhängt, bei dem es in der jeweiligen Abstimmung geht?

Judith Oehri: Je emotionaler ein Thema diskutiert wird und je höher die eigene Betroffenheit, desto höher die Wahlbeteiligung. Die Abstimmung betreffend Franchise der Rentner hatte eine hohe Wahlbeteiligung bei den älteren Wählerinnen und Wählen, aber eine erschreckend tiefe bei den jüngeren. Bezahlen müssen es aber langfristig auch diejenigen, die nicht zur Wahl gegangen sind.

Landesspiegel: Welche Rolle spielt politische Bildung in diesem Zusammenhang?

Judith Oehri: Die Liechtenstein spezifische politische Bildung erachte ich als ungenügend. Selbstverständlich erhält man in der Ober- und Realschule bzw. Gymnasium politische Bildung, aber für mich ist diese nicht ausreichend.

Spannend wird Politik erst, wenn man mitreden kann, also um das 18. Lebensjahr herum. Hier müsste für die Jugendlichen ein Angebot geschaffen werden, denn insbesondere die Berufsschulen sind ja in der Schweiz und da bekommt man keine Liechtenstein spezifische Ausbildung.

Ich glaube, die Stimmbeteiligung der Jungen könnte mit der politischen Bildung für Jugendliche erhöht werden. Später sehe ich eher wenig Einflussmöglichkeiten mit einem Politiklehrgang.

Landesspiegel: Könnte der Politiklehrgang einen Beitrag zur Steigerung der Wahlbeteiligung leisten?

Judith Oehri: Ziel des Politiklehrgangs ist es, zukünftigen Politikerinnen und Politikern Fachwissen zu aktuellen Themen, aber auch Grundsatzthemen (Steuern, Raumplanung usw.) zu vermitteln, so dass fundierte Diskussionen stattfinden können. Dabei geht es nicht um Parteipolitik, sondern um Sachthemen. Der Lehrgang oder zumindest Teile des Lehrgangs wären Neueinsteigenden zu empfehlen, denn niemand ist in allen Themen sattelfest. Der Lehrgang steht aber natürlich allen Menschen, die an der Funktionsweise des Staates interessiert sind, offen.

Im Lehrgang waren schon Personen, die sich einbürgern liessen und sich danach politisch engagierten.

Eine grosse Anzahl an Absolventinnen und Absolventen des letzten Lehrgangs hielten Einzug in einen der Gemeinderäte im Land. Ich bin überzeugt, der Politiklehrgang erleichterte den Einstieg in das Amt und sorgte für qualitativ bessere Diskussionen.

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