Im historischen Saal des Rathauses Vaduz stellte Anastassios Frangulidis, Leiter Gemischte Mandate und Chefstratege von Pictet Asset Management Zürich, die aktuelle Markteinschätzung der Bank vor. Dabei wurde deutlich: Die geopolitische Unsicherheit und zunehmende Volatilität an den Kapitalmärkten verlangen von Anlegern mehr denn je ein tiefes Verständnis globaler Zusammenhänge und ein aktives Risikomanagement.
Frangulidis begann mit einem Rückblick auf die Entwicklungen seit dem letzten Marktausblick vor einem Jahr. Die Märkte haben sich in einem schwierigen Umfeld behauptet, geprägt von politischen Umbrüchen und einem scharfen Anstieg protektionistischer Massnahmen – insbesondere unter der neuen US-Regierung von Donald Trump. Die Handels- und Zollpolitik der USA habe spürbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft entfaltet und sei mittlerweile der bedeutendste Unsicherheitsfaktor für Investoren weltweit.
USA: Wachstum unter Druck, politische Agenda unter Zugzwang
Die US-Wirtschaft wächst zwar weiter, jedoch unter dem Potenzial, so Frangulidis. Die anfängliche Wachstumsdynamik, unterstützt durch Steuersenkungen und regulatorische Erleichterungen, wird zunehmend von den protektionistischen Massnahmen gedämpft. Besonders betroffen seien Länder mit engen Handelsverflechtungen mit den USA wie Mexiko, Kanada, Vietnam und Taiwan. Insgesamt wird die globale Wirtschaftsleistung durch die US-Zollpolitik derzeit um rund 0,3 Prozentpunkte negativ beeinflusst.
Die Investitionserwartungen in den USA zeigen ein gespaltenes Bild: Während Republikaner und Demokraten divergierende Zukunftsperspektiven haben, beginnt sich die Investitionsbereitschaft auf niedrigem Niveau zu stabilisieren – allerdings unter der Prämisse, dass regulatorische Unsicherheiten nicht weiter eskalieren.
Europa und China: Gewinner relativer Stabilität
Europa profitiert im Gegenzug leicht von der geopolitischen Unruhe in Übersee – nicht zuletzt durch einen schwächeren US-Dollar. Dennoch bleibt das europäische Wachstum moderat. In China sei eine Stabilisierung zu beobachten, doch auch hier dämpfen globale Handelskonflikte die Dynamik.
Die Märkte haben auf diese Entwicklungen mit erhöhter Volatilität reagiert. Laut Frangulidis ist es entscheidend, dass Anleger künftig differenzierter agieren: «Moderate Gewinnentwicklungen und geopolitische Risiken verlangen einen aktiveren Investmentansatz.» Staatsanleihen und Unternehmensanleihen bleiben laut Analyse zentrale Bausteine in einem diversifizierten Portfolio – jedoch unter sorgfältiger Auswahl.
Technologie-, Kommunikations- und Infrastrukturaktien hätten sich in den vergangenen Monaten unterschiedlich entwickelt. Während Technologiewerte zwischenzeitlich unter Druck standen, erholen sie sich aktuell wieder. Infrastrukturaktien seien aufgrund ihrer defensiven Eigenschaften zunehmend gefragt.
Inflation und Geldpolitik: Wendepunkt erreicht
Ein weiterer Fokus lag auf den Inflationsentwicklungen: In den USA liegt die Dienstleistungsinflation bereits bei über 3,5 Prozent, mit steigender Tendenz. Frangulidis betonte, dass die lockere Geldpolitik der Zentralbanken in absehbarer Zeit einem restriktiveren Kurs weichen werde – vor allem in den USA. Zinserhöhungen werden jedoch schrittweise erfolgen.
Global denken, Risiken aktiv steuern
Europa steht 2025 wirtschaftlich an einem Wendepunkt. Nach Jahren moderaten Wachstums zeigen sich nun deutliche Anzeichen einer konjunkturellen Belebung. Die aktuellen Prognosen der Europäischen Kommission lassen ein reales Wachstum von rund 2 % erwarten – und liegen damit klar über dem geschätzten Potenzialwachstum von etwa 1 %. Das ist für die Eurozone ein aussergewöhnlich positiver Wert und spricht für eine dynamischere wirtschaftliche Entwicklung, als lange Zeit angenommen wurde. In den USA sieht Frangulidis das Risiko einer Rezession: „Ich sage nicht, dass die Rezession kommt. Ich sage nur, das Potenzial ist grösser geworden.“ Er weist darauf hin, dass die erwarteten Steuersenkungen in den USA eine wichtige Rolle spielen werden.
Abschliessend machte Frangulidis deutlich: Die Weltwirtschaft steht an einem Wendepunkt. Eine Ära geopolitischer und wirtschaftlicher Stabilität sei vorbei, Anleger müssten sich auf anhaltende Unsicherheiten einstellen. Wer jedoch wachsam bleibt, seine Allokation regelmässig überprüft und globale Risikofaktoren ernst nimmt, könne auch in einem volatilen Umfeld erfolgreich investieren.