Startseite Gesellschaft „Das fühlt sich an wie im Märchen“ – Ein Interview mit Raphaela Gromes

„Das fühlt sich an wie im Märchen“ – Ein Interview mit Raphaela Gromes

Raphaela Gromes
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Das, was Helene Fischer für den Schlagerbereich ist, ist Raphaela Gromes für das Genre Klassik. Ihre Alben erschienen alle in den Top 10 der deutschen Klassikcharts und wurden unter anderem mit dem Preis der Deutschen Schallplattenkritik, dem Opus Klassik und dem Diapason d’Or ausgezeichnet. Zudem tritt Gromes regelmässig in den wichtigsten Konzertsälen und auf den grössten Festivals Europas auf. Zuletzt erschien ihr neues Album „Dvořák: Cello Concerto» in Zusammenarbeit mit dem Ukrainischen Nationalorchester. Mit diesem ist Gromes aktuell auf umfangreicher Konzerttournee, die Sie am 21. November auch nach Vaduz führt. Im Interview mit unserer Zeitung spricht sie über ihre Arbeit, Poesie, den Krieg in der Ukraine – und ein 282 Jahre altes Cello.

Frau Gromes, Ihr 2023 erschienenes Erfolgsalbum „Femmes“ würdigt herausragende Komponistinnen aus neun Jahrhunderten Musikgeschichte. Gleich 23 Komponistinnen sind auf dem Doppel-Album vertreten: von Hildegard von Bingen über Clara Schumann bis hin zu Lera Auerbach und Billie Eilish, aber auch berühmte Opernfiguren wie Mozarts Susanna aus „Le nozze di Figaro“ oder Bizets Carmen. Das ist viel Stoff, wie kamen Sie auf diese schöne Idee?

Raphaela Gromes: Schon bei meinen vorherigen CDs habe ich immer wieder Musik von Komponistinnen aufgenommen. Vor ein paar Jahren fragte mich dann eine gute Freundin: «Warum widmest du nicht mal ein ganzes Album den tollen Frauen in der Musikgeschichte?» Ich war sogleich Feuer und Flamme und begann zu recherchieren. Dass ich so viele Komponistinnen finden würde, mit denen ich gleich ein Doppelalbum füllen würde, mehrere Konzertprogramme aufstellen und nun ein weiteres Doppelalbum nur mit Komponistinnen in Planung ist, wäre mir zu Beginn des Projektes nicht im Traum eingefallen.

Sie waren begeistert und schockiert zugleich. Warum?

Schockiert, weil ich von den meisten dieser Komponistinnen noch nie gehört hatte, auch im Studium nicht. Weil diese Frauen im normalen Konzertbetrieb quasi nicht stattfinden. Begeistert, weil es so viel zu entdecken gab, gibt. Die schiere Anzahl der Komponistinnen ist beeindruckend, mehr als 3000 Komponistinnen der klassischen Musik seit dem Mittelalter! Aber auch die Qualität der Werke ist unglaublich, sodass mein Unverständnis im Laufe der Recherche immer grösser wurde, warum ich von diesen Frauen noch nie gehört hatte.

Bis heute ist „Femmes“ weltweit in aller Munde, sogar in den deutschen Pop-Charts (Platz 21) war das Album zeitweise vertreten. Wie glücklich und stolz macht Sie das? 

Das ist schon ein ganz besonderer Erfolg, der mich natürlich stolz macht. Und glücklich, dass gerade dieses Album so viel Aufmerksamkeit erhält und ich damit viele der fantastischen Komponistinnen einem grösseren Publikum präsentieren, sie wieder zu Gehör und ins Gespräch bringen kann. Ich habe gemerkt, dass in dem letzten Jahr – auch nach Erscheinen der CD – viel rund um das Thema Komponistinnen passiert ist. Vielleicht habe ich da auch einen Stein ins Rollen gebracht…

„Hochvirtuos und schwungvoll, leidenschaftlich und technisch brillant, vielseitig und charmant“ Kaum ein Cellist begeistert sein Publikum wie Sie. Wie gehen Sie mit so viel Lob um?

Ich freue mich darüber. Gleichzeitig versuche ich, mich auf der Bühne von all den Erwartungen zu befreien und ganz in das Stück einzutauchen, der Musik zu dienen, sie dem Publikum ans Herz zu legen. Dabei kann der Kontakt zum Publikum sehr wichtig sein, denn durch die besondere Atmosphäre im Saal, durch das gemeinsame Atmen und Innehalten entsteht die Magie des Augenblicks im Konzert. In jedem Konzert entfaltet sich so gewissermassen eine besondere Beziehung zwischen dem Publikum und mir.

„Immer wieder Momente reiner Poesie“, das schreibt die Süddeutsche Zeitung über Sie. Was ist Poesie für Sie?

Musik ist für mich die höchste Form der Poesie. Wie sagte Victor Hugo so schön: «Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.» 

Wie und wann haben Sie gemerkt, dass Klassik Ihr Ding ist? Andere wollten sicher Britney Spears werden.

Schon sehr früh. Meine beiden Eltern waren ja Cellisten und haben mich immer mit auf Tour genommen. Das ist die Musik, mit der ich gross geworden bin und die ich seit Beginn an liebe.

Sie sind Kulturbotschafterin der SOS-Kinderdörfer weltweit. Was füllt da Ihr Herz aus?

Das Leuchten in den Augen der Kinder. Mein Duo-Partner Julian Riem und ich haben auf unseren Tourneen immer wieder SOS Kinderdörfer besucht, zum Beispiel im Libanon, in der Mongolei und in Mexiko. Das waren immer unvergessliche Erlebnisse, mit diesen Kindern Lieder und Tänze einzustudieren und zu sehen, wie glücklich sie das macht.

Dass die Preise für hochwertige Instrumente gerne auch mal die mehrere-Millionen-Euro-Marke überschreiten können, stellte erst vor kurzem Stargeiger David Garrett fest, der für seinen Lebenstraum, eine Geige von Guaneri, eine Wohnung in New York verkaufte und für 3,5 Millionen Euro den Zuschlag bei einer Auktion für das seltene Instrument erhielt. Sie mussten Ihr Zuhause zum Glück nicht verkaufen – Sponsoren finanzierten Ihnen ein millionenschweres Traumcello, eine absolute Rarität des italienischen Geigenbauers Carlo Bergonzi (1683-1747). Wie stolz macht Sie das?

In die Verlegenheit mein zu Hause zu verkaufen, kam ich ja zum Glück gar nicht, da ich selbst keine Wohnung besitze. Aber ich bin tatsächlich unglaublich dankbar, dass ich Mäzene gefunden habe, die sich das Cello als Investment gekauft haben und mich darauf spielen lassen. Das fühlt sich wirklich an wie im Märchen…

Es ist ein 282 Jahre altes Cello – Sie sollen Tränen in den Augen gehabt haben, als Sie das erste Mal darauf gespielt haben.

Ich hatte schon viele alte und wertvolle Instrumente probiert. Von Stradivari, Goffriller, Guarneri und vielen anderen grossen Namen. Jedes Cello hat mich beeindruckt mit der ganz eigenen Qualität, doch ich hatte nie das Gefühl, wirklich „mein Cello“, meine Stimme gefunden zu haben. Als ich dann auf dem Bergonzi Cello gespielt habe, wusste ich von dem ersten Ton an: das ist es! Es war, wie nach Hause zu kommen, ein wirklich überwältigendes Gefühl. Genauso hatte ich mir immer den perfekten Celloklang und das perfekte Spielgefühl erträumt.

Lassen Sie uns über die Ukraine sprechen: Zusammen mit dem National Symphony Orchestra of Ukraine haben Sie  am 6. Dezember 2023 ein hoch emotionales Dvořák-Konzert in Kiew gegeben. Wie war das?

Dass in der Ukraine Krieg herrscht, ist in Kyjiw jede Sekunde zu spüren. Obwohl die Menschen dort versuchen, möglichst normal ihrem Alltag nachzugehen und auch den Luftalarm weitgehend ignorieren, ist eine Spannung und eine hohe Aufmerksamkeit zu spüren. Das Wissen, dass das Leben am seidenen Faden hängt. Dadurch entsteht aber auch ein Zusammenhalt, ein Gemeinschaftsgefühl unter allen Menschen, das mich sehr berührt und bewegt hat. Kurz vor dem Konzert gab es einen Bombenalarm. Wir alle waren einfach froh und dankbar, dass wir das Konzert spielen konnten, und das Publikum mit uns. Und gewissermassen haben wir alle auf der Bühne für den Frieden, für das Überleben und die Zukunft der Ukraine gespielt, vor allem auch mit der Zugabe von Silvestrov, «Prayer for Ukraine».

Der Krieg dauert jetzt schon über zwei Jahre. Wie denken Sie über die Menschen in der Ukraine?

Ich bewundere die Menschen in der Ukraine sehr, habe sie als sehr mutig und stark wahrgenommen und war beeindruckt, wie positiv und hoffnungsvoll viele nach diesen langen und zermürbenden Kriegsjahren noch sind. Dieser Krieg bringt unvorstellbares Leid über die Ukraine. Ich habe niemanden getroffen, der durch den Krieg nicht einen guten Freund oder ein nahes Familienmitglied verloren hat, und dieser Schmerz schwingt dort auch in jedem Gespräch mit. Gleichzeitig war im Dezember noch eine grosse Hoffnung, dass die Ukraine siegen würde. Ich glaube, dass mittlerweile die Stimmung eher gekippt ist und sich viele verlassen und nicht gut genug unterstützt fühlen, von ihrer eigenen Regierung und auch vom Westen. Viele wollen einfach nur noch überleben.

Eine Frau in der ersten Reihe brachte Ihnen weinend ihre selbst gestrickten Handschuhe auf die Bühne, um Ihnen ihre Dankbarkeit zu zeigen. Wie denken Sie zurück an diesen emotionalen Moment?

Das war wirklich einer der berührendsten Momente in meinem Konzertleben. Er hat die unglaublich grosse Seele, Herzlichkeit und Leidenschaft der Ukrainer gezeigt, auch danach wurde ich von Geschenken überhäuft, von Glückbringern, kleinen Engeln und ukrainischen Spezialitäten. Ich war überwältigt von dieser Gastfreundschaft und den vielen emotionalen Erlebnissen, gleichzeitig traurig, dass ich nicht mehr geben konnte als meine Musik.

Zuletzt erschien Ihr neues Album Dvořák: Cello Concerto“, ebenfalls in Zusammenarbeit mit dem Ukrainischen Nationalorchester. Die Idee hierfür ist aus dem tiefen Eindruck vor Ort in der Ukraine entstanden. Wie denken Sie an die Aufnahme zurück? 

Die Aufnahme von Dvoraks Cellokonzert habe ich natürlich sehr ernst genommen. Es ist ein Meilenstein der Celloliteratur und sowohl technisch als auch musikalisch überaus anspruchsvoll und überaus Kräfte – zehrend für die Solistin. Gleichzeitig war die Stimmung bei der Aufnahme sehr gedrückt: das Orchester kam von einer langen Amerika Tour, mit Jetlag und wegen Flugchaos verspätet, und die Celli des Orchesters wurden von der Fluggesellschaft in den USA vergessen. Wir konnten zwar noch andere Celli in Polen ausleihen, aber die Sorge um die eigenen Instrumente war gross.

Gleichzeitig war natürlich auch das Schicksal der Ukraine in jeder Sekunde der Aufnahme präsent, oder? 

Ja, auch die Zukunftsängste der Musiker selbst.

Diese Situation hat die Aufnahme natürlich zu der emotionalsten Aufnahme gemacht, die ich je erlebt habe. Und ich denke, man hört das auch – alle diese Angst, den Schmerz, aber auch die Hoffnung auf ein positives Ende haben wir in die Musik gelegt und dort ausgedrückt.

Das künstlerische Herzblut und eine tiefe Verbundenheit mit der Ukraine – das macht das neue Album aus. Woher kommt diese Liebe für dieses seit über zwei Jahren so schwer geschundene Land? 

Seit dem 24. Februar 2022 bin ich tief beeindruckt von der Entschlossenheit der Ukrainer, sich gegen die russischen Angreifer zu wehren und für Freiheit und Demokratie zu kämpfen. Aus Solidarität bin ich daher auch nach Kyjiw gefahren, um die Menschen vor Ort zu unterstützen. Die wirklich tiefe Verbundenheit ist dann erst dort entstanden, im Gespräch mit den unglaublich freundlichen Menschen in den Cafés und Restaurants, beim Musizieren mit den Kindern in dem SOS Kinderdorf und natürlich mit den Musikerinnen und Musikern des ukrainischen Nationalorchesters während der Probearbeit und dem Publikum nach dem Konzert. Ich habe dort Freundschaften geschlossen und bin mit ihnen in ständigem Kontakt. Und mache mir unglaublich mich grosse Sorgen um die Entwicklungen in der Ukraine – die Situation dort verschlechtert sich zunehmend und die Stimmung ist auch ziemlich umgeschlagen. Es dominiert nicht mehr die Hoffnung auf einen Sieg, stattdessen immer mehr Schmerz über die vielen Toten und das Land, das sie vor den eigenen Augen sterben sehen. 

Warum haben Sie sich sowohl bei dem Konzert vor Ort als auch bei dem Album für Dvořáks Cello-Konzert entschieden? 

Es gilt als das Cello-Konzert schlechthin, und das ist es auch für mich. Schon in meiner Kindheit habe ich das Werk in Endlosschleife gehört. Die lange und sehr besondere Coda (der Schlussteil, d. Red.) ist ein weit gespannter Abgesang, der über das Leben hinaus in die Transzendenz weist, Licht und Befreiung bringt. Die Bandbreite an Emotionen in diesem Konzert ist enorm: jugendlich heroische Strahlkraft und Frische, sehnsuchtsvolle Liebe, Verbundenheit, tiefer Schmerz, am Ende die Erlösung – und das alles mit den schönsten Melodien und genialer Instrumentation. Was hätte für die Menschen in der Ukraine besser passen können als dieses Stück, um ihnen Hoffnung, Verbundenheit und Zuversicht zu vermitteln? 

Würden Sie auch in Moskau spielen?

Ja und nein. Natürlich weiss ich, dass es in Russland viele Menschen gibt, die unschuldig sind und das, was gerade passiert, ablehnen. Natürlich würde ich für sie jederzeit musizieren, auch in Moskau. Allerdings könnte ich mir nicht verkneifen, danach ein politisches Statement abzugeben und einen Regierungswechsel bzw. das Ende des Krieges zu fordern. Vermutlich würde ich also Russland nicht lebend verlassen…

Wie kann dieser Krieg gestoppt werden?

Musik schafft viel, das leider nicht. Das kann ich leider nicht beantworten. Ich wünschte, es gäbe Politiker, die sich der Situation erfolgreich annehmen und wirklich für das Überleben und eine Zukunft der Menschen in der Ukraine kämpfen würden. Dass das Konzept, was wir seit zwei Jahren verfolgen, nicht aufgeht, sollte allen klar geworden sein, der Krieg zieht sich ewig weiter. Auf Kosten der Menschen, die an der Front sterben, auf Kosten der Ukrainerinnen und Ukrainer. 

Sie wurden mit Preisen überschüttet, haben ihr Traum-Cello bekommen – welchen Wunsch möchten Sie sich noch erfüllen?

Es gibt vieles, was ich noch erleben möchte, privat wie beruflich. Mit grosser Leidenschaft erfüllt mich zum Beispiel weiterhin mein «Femmes» Projekt, es gibt noch so viele fantastische Werke von Komponistinnen zu entdecken… Vielleicht werde ich zu dem Thema auch noch ein Buch schreiben, es gibt vieles, was mich umtreibt.

Konzerttermin: 

Raphaela Gromes & National State Symphony Orchestra of the Ukraine
(Dirigent: Volodymyr Sirenko)
21. November 2024 – Vaduz, Vaduzer Saal

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