Wenn man Wahlanalysen, wie etwa die des American Enterprise Institute (AEI), betrachtet, ist das Erstaunlichste, dass Trump besonders in der Mittelschicht massiv an Stimmen gewonnen hat. Menschen mit einem Einkommen zwischen 90’000 und 140’000 Dollar – also oberen Mittelschicht – und viele, die nie zuvor republikanisch gewählt haben, entschieden sich für ihn. Es stellt sich die Frage, warum konnte Trump gerade in dieser Wählergruppe so punkten?
Viele Leute, mit denen ich gesprochen habe, sagten mir: „Wirtschaftlich geht es mir heute schlechter als vor vier Jahren – viel schlechter.“ Zahlreiche Demokraten und ihnen nahestehende Kommentatoren behaupten: Das sein nur ein Gefühl, rein subjektiv. Die Wirtschaft laufe insgesamt gut, das würden alle Zahlen belegen. Doch dieses Empfinden ist real und nicht bloss ein Eindruck.
Der „American Dream“ – der soziale Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär – ist schon seit längerem erheblich schwieriger zu erreichen. Es gibt hier verschiedene Cluster, in denen Menschen festhängen.
Nehmen wir als Beispiel eine Person mit einem Jahreseinkommen von 140’000 Dollar. Mit diesem Einkommen konnte man eigentlich gut leben: im Supermarkt einkaufen, ohne auf den Preis zu achten, ein gutes Auto fahren, Business Class fliegen. Aber der Privatjet bleibt unerreichbar. Egal, wie viel man spart, eine Grenze scheint unüberwindbar. Das führt dazu, dass grössere Anteile des Einkommens in den Konsum fliessen.
Ähnliches zeigt sich auch in anderen Gesellschaftsschichten. Eine Studie zeigte kürzlich, dass in ärmeren Gegenden die Bildschirmdiagonale der Fernseher deutlich grösser ist als in anderen Gegenden. Auch hier zeigte sich, dass die Menschen nicht an die Möglichkeit eines Aufstiegs glauben. Darum fliest weniger Geld in Investitionen für Bildung oder Finanzanlagen. Stattdessen kauft man einen grösseren Fernseher.
In den letzten Jahren hat die Inflation den Konsum eingeschränkt. Die steigenden Lebenshaltungskosten zwingen viele, ihren Lebensstil anzupassen. Und das spüren die Leute schmerzhaft. Das bedeutet nicht, dass die Menschen weniger ausgeben, aber sie bekommen weniger dafür.
Betrachten wir das Beispiel einer Familie mit zwei Einkommen von jeweils 100’000 Dollar. Diese Familie gibt am Monatsende wahrscheinlich genauso viel aus, wie früher. Darum erkennen das die Volkswirtschaftsprofessoren in ihren Elfenbeintürmen nicht anhand ihrer «Zahlen». Doch erstmals müssen Menschen in der oberen Mittelschicht im Supermarkt auf die Preise achten, Economy fliegen und sie kaufen ein asiatisches Auto statt eines Mercedes – Oops! Jetzt sollte deutlich werden, dass die Erosion des American Dream auch auf Europa Auswirkungen hat.
Welche genau, und welche Chancen sich durch Trump 2.0 für Europa auftauen, beleuchte ich morgen im Teil zwei.