Startseite Interview Strafrechtsreform: Justizminister Schädler und Staatsanwalt Haun über die Hintergründe

Strafrechtsreform: Justizminister Schädler und Staatsanwalt Haun über die Hintergründe

Die Regierung plant einer Reform des Strafverfahrensrechts mit dem Ziel, Strafverfahren zu beschleunigen und kosteneffizienter zu machen. Ein zentraler Punkt dabei ist die Ausweitung des Mandatsverfahrens. Dieses Instrument erlaubt in gewissen Fällen Strafverfügungen bei Übertretungen und geringfügigen Vergehen zu erlassen, ohne eine mündliche Verhandlung durchzuführen.

Damit soll das Landgericht von aufwendigen Verhandlungen bei Bagatelldelikten entlastet werden, in welchen die Angeklagten lediglich Geldstrafen oder Bussen erwarten. Gleichzeitig sollen die Ermittlungsbehörden mit neuen Werkzeugen ausgestattet werden. Dazu gehört die Einführung der optischen und akustischen Überwachung in Privatfahrzeugen oder in Wohnräumen.

Schliesslich sieht die Reform eine Anpassung bei der Opportunität vor: Die Staatsanwaltschaft kann Verfahren unter engen Grenzen einstellen, ohne die Gründe für die Entscheidung bekannt geben zu müssen.

Welche Auswirkungen durch die geplante Reform zu erwarten sind, erklärten Justizminister Emanuel Schädler und der leitende Staatsanwalt Frank Haun ausführlich in einem Interview.

Strafverfügung statt Verhandlung mit Urteil

Die Regierung will Strafverfügungen ausweiten. Bisher kommen sie nur bei Übertretungen zum Einsatz. Künftig soll dieses vereinfachte Verfahren auch bei Vergehen möglich sein und auch dann greifen, wenn eine Diversion scheitert oder aus anderen Gründen nicht möglich ist. Die Regelung gilt nur, wenn keine Freiheitsstrafe droht.

Es geht um kleine Fälle, die das Landgericht stark belasten“, so Haun. Ein Beispiel seien wiederholte Ladendiebstähle oder Bagatelldelikte mit Drogen. In solchen Situationen soll das Gericht zukünftig auf eine mündliche Verhandlung verzichten und eine Geldstrafe schriftlich festsetzen können. Das spare Zeit und entlaste Richter und Staatsanwälte.

Für die Beschuldigten stellt sich in diesen Fällen die Frage, wie ein effektiver Rechtsschutz gewährleistet ist. Frank Haun sieht das Recht auf Gehör jedenfalls gewährleistet: Eine Einvernahme durch die Landespolizei oder den Untersuchungsrichter zum Tatvorwurf würde in jedem Verfahren durchgeführt. Haun betont: «Das ist Praxis bei der Staatsanwaltschaft.«

Wenn der Beschuldigte vor der Landespolizei die Aussage verweigert, könne es sein, dass keine Strafverfügung erlassen werden könne, weil nicht alle für die Entscheidung massgehenden Umstände ausreichend geklärt sind. „Aber das muss dann der Landrichter entscheiden. Die Strafverfügung ist kein Muss, das ist ein Kann.“, erklärte Haun.

Die Gefahr einer Bagatellisierung sehen Schädler und Haun nicht. Auf die Frage, ob es nicht zu einer Verharmlosung eines Delikts kommt, wenn man nur eine Strafverfügung bekommt, sagte Haun: „Ein Berufskrimineller lässt sich ohnehin weder vom Richter noch vom Staatsanwalt in einer Schlussverhandlung beeindrucken“. Für die kleinen Fälle dient das Verfahren der Verfahrensökonomie.

Befürchten könnte man, dass sich Beschuldigte aufgrund des Aufwands für das Verfahren und der zu erwartenden Anwaltskosten von einem Einspruch abhalten lassen, und die in der Strafverfügung festgesetzte Geldstrafe bezahlen, obwohl sie sich für unschuldig halten. Regierungsrat Schädler teilt diese Befürchtung nicht: „Ein Freispruch in einem Verfahren nach Erhebung eines Einspruchs bringt dem Beschuldigten vollen Kostenersatz durch das Land.

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Öffentlichkeit der Verfahren. Strafverfügungen erfolgen ohne Verhandlung, also nicht öffentlich. Schädler betont, dass dies nur für kleinere Delikte gilt. „Bei mittleren und schweren Straftaten bleibt die Öffentlichkeit gewährleistet.“ Generalpräventive Aspekte würden weiterhin berücksichtigt – auch bei schriftlichen Verfahren.

Lauschangriff als neues Mittel gegen das Verbrechen

Ein weiterer Schwerpunkt der Reform betrifft die optische und akustische Überwachung. Das Abhören von Gesprächen in Wohnräumen und Fahrzeugen soll damit ermöglicht werden. Bisher konnten Ermittler nur verfolgen, wo sich ein Auto befand, aber nicht mithören, was im Inneren besprochen wurde.

Haun erklärte: „Kriminelle besprechen heute nichts mehr am Telefon. Im Auto fühlen sie sich sicher und reden offen.“ Hier brauche es neue Möglichkeiten für die Ermittlungsbehörden.

Eine zeitliche Obergrenze für die Dauer einer solchen Überwachung fehlt jedoch in der Vorlage. Im Vernehmlassungsverfahren wurde das kritisiert. Beispielsweise von der Datenschutzstelle. Eine Maximaldauer im Gesetz ist für Regierungsrat Schädler nicht erforderlich, da ein Landrichter die Dauer im Einzelfall prüft und festlegt: „Das Landgericht hat Beginn und Ende der Überwachung im Beschluss konkret zu bezeichnen. Liegen die Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vor, sind die Massnahmen sofort aufzuheben, beziehungsweise dürfen gar nicht erst angeordnet werden.“

Bei Aufnahmen an öffentlichen Orten, wo viele Unbeteiligte erfasst werden, betont Haun die Notwendigkeit, die Massnahme auf das Wesentliche zu beschränken. „Die Ergebnisse der optischen und akustischen Überwachung von Personen sind vom Untersuchungsrichter zu prüfen und es sind nur diejenigen Teile in Bild- oder Schriftform übertragen zu lassen und zu den Akten zu nehmen, die für das Verfahren von Bedeutung sind und als Beweismittel verwendet werden dürfen.“, erklärte er.

Bei Überwachungen in Lokalen oder Geschäften müssen unbeteiligte Personen geschützt werden. Aufzeichnungen sind auf das Wesentliche zu beschränken und sonst zu löschen.

Einstellungsentscheidungen: Kontrolle auch ohne ausführliche Begründung

Der Reformentwurf sieht vor, Verfahren unter gewissen Voraussetzungen einfacher einstellen zu können. Das Obergericht reklamierte in der Vernehmlassung, dass keine explizite Bekanntgabe der Gründe für die Einstellung erforderlich ist. Dadurch sei eine effektive gerichtliche Kontrolle der sogenannten Opportunitätsentscheidung erschwert.

Die Regierung lehnt die vom Obergericht gewünschte Bekanntgabe der Begründung von Einstellungsentscheidungen der Staatsanwaltschaft ab. Sie möchte die Ressourcen der Anklagebehörde schonen. Für Schädler sei wie bereits jetzt eine Missbrauchskontrolle sehr wohl möglich. Das Obergericht prüft die Einstellung anhand der Aktenlage zum Einstellungszeitpunkt. Damit ist für das Obergericht eine willkürliche Vorgehensweise seitens der Staatsanwaltschaft ohne weiteres erkennbar.

Diese Prüfung sei auch ohne eine detaillierte Begründung durchführbar, erklärte Schädler: „Das Obergericht prüft die Einstellung anhand der Aktenlage zum Einstellungszeitpunkt. Damit ist für das Obergericht eine willkürliche Vorgehensweise seitens der Staatsanwaltschaft ohne weiteres erkennbar.

Zudem sichert die Regierung die konsistente Anwendung des Ermessens dreifach: durch die engen Grenzen der gebundenen Opportunität, die gerichtliche Missbrauchskontrolle und eine zwingende Revision jeder Einstellung aus Opportunitätsgründen durch den Leiter der Staatsanwaltschaft.

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