Startseite Gesellschaft Sophie Pacini «Habe den Weg einer Künstlerin gewählt, nicht den eines Stars»

Sophie Pacini «Habe den Weg einer Künstlerin gewählt, nicht den eines Stars»

Sophie Pacini

Die Starpianistin Sophie Pacini hat einen prall gefüllten Terminkalender. Am 7. März erscheint mit „bittersweet» ihr bislang persönlichstes Album, das sie am 27. März im Hagenhaus in Nendeln vorstellt. Im Interview spricht die 33-Jährige über die neue Platte, ein besonderes Konzert und ihre neue Liebe.

Ihr neues Album heisst „bittersweet» (dt.: bittersüss) und enthält Ihre persönlichen Herzensstücke. Es gilt als Ihr bisher persönlichstes Werk. Warum?

Das Album entstand nach einem Konzert im Münchner Frauenhaus. Schon als Kind war es mir ein Anliegen, mich für Menschen einzusetzen, denen es nicht gut geht – vor allem für Frauen, die Schweres durchmachen. Die Tante eines Mädchens aus meiner Schulklasse war damals von häuslicher Gewalt betroffen. Sie war türkischer Herkunft, eine echte Powerfrau – und doch wurde das Thema totgeschwiegen. Aber irgendwann konnte man es in ihren Augen sehen. Sie war eine bildschöne Frau, und mich hat das nachhaltig geprägt. Ich habe damals zwei Tage lang geweint. Jetzt wollte ich einfach meine Musik in ein Frauenhaus bringen. Ich hatte mein E-Piano dabei und wollte den Frauen ein bisschen Musik schenken. Dieses Grundgefühl war bittersüss.

Wie waren die Reaktionen der Frauen hinterher?

Die Frauen haben mich umarmt, und die Musik hat ihnen Mut gemacht. Einige von ihnen haben geweint, eine Frau ist sogar hinausgelaufen. Eine andere schenkte mir eine Tontaube und einen handgeschriebenen Brief. Beides kommt in meine Talisman-Kiste. Es war ein wunderschöner, aber auch bittersüsser Moment. Deshalb habe ich daraus ein Album gemacht – einen Wegweiser für jeden Tag, einen Trostspender. Es mag schwierig sein, aber ich habe den Weg einer Künstlerin gewählt, nicht den eines Stars.

Sie haben eine Talisman-Kiste?

Ja. In ihr bewahre ich Geschenke, Souvenirs von Reisen und ein Erbstück meiner Oma auf. Diese kleine Kiste steht zu Hause auf meinem Klavier. Egal, wo ich bin, spüre ich eine Verbindung zu ihr. Früher habe ich sie auf Reisen mitgenommen, aber aus Angst, meinen Koffer zu verlieren, lasse ich sie inzwischen lieber zu Hause.

Sie haben einmal erzählt, dass Sie schon früh gegen Widerstände, Ausgrenzung und Missgunst kämpfen mussten. Was genau haben Sie erlebt, und wie haben diese Erfahrungen Sie geprägt?

Als ich in der Pubertät war, wollte ich mir nicht vorschreiben lassen, was ich tun oder lassen soll. Ich wusste oft nicht, wo ich hingehöre – aber das ist als Mädchen völlig normal. Wichtig ist, herauszufinden, was man selbst will. Besonders bedeutend sind Mut zu Visionen, Emotionen und die Fähigkeit, authentisch zu bleiben.

Was war Ihre grösste Angst als junges Mädchen?

Abhängig zu sein – von einem Lehrer oder von Förderern, also von Menschen, die mein Leben diktieren wollen. Gerade in der Musikbranche läuft man Gefahr, zu einem Klon geformt zu werden. Persönlichkeitsentwicklung und Mut zu anderen Ansätzen finden in der Klassik leider noch zu selten statt. Ich wollte aber auch mal rebellisch sein. Langsam bewegt sich etwas in diesem Genre. Doch die Komponisten, die wir spielen, waren alle Rebellen. Schubert zum Beispiel starb mit 31 Jahren völlig verarmt.

Wann haben Sie gespürt, dass Sie ganz Sie selbst sein können?

Das war der Moment, als ich als 18-Jährige für Martha Argerich (Pianistin, Anm. d. Red.) vorgespielt habe. Sie war für mich ein Vorbild darin, anders zu sein – und sich als Frau durchzusetzen. Das habe ich immer an ihr bewundert. Ihr Charakter ist ihre Ausstrahlung. Mein Ziel war es, dass sie mich grossartig findet. Viele haben mir davon abgeraten, ihr vorzuspielen, aber ich wollte es unbedingt. Ich sagte zu ihr: „Ich würde gerne Konzertpianistin werden.» Und sie antwortete nur: „Konzertpianistin bist du schon.» Da wusste ich, dass sich all mein Kämpfen gelohnt hatte.

Glauben Sie, dass Klassik irgendwann ähnlich beliebt sein wird wie der Schlager?

Das wünsche ich mir sehr. Mein Traum ist es, einmal einen Konzertsaal zur Hälfte oder sogar überwiegend mit unter 35-Jährigen zu füllen. Man sagt mir oft, dass bei meinen Konzerten viele junge Leute im Publikum sitzen. Vielleicht, weil ich selbst noch jung bin. Ich will keine Diva sein. Und ich möchte Mädchen vermitteln, dass jede schön ist und etwas zu sagen hat. Ich fände es wichtig, dass der Mut, man selbst zu sein, zurückkehrt. Und genau das kann man durch Klassik erfahren – ein Genre, das oft aus Notlagen heraus entstanden ist. Tschaikowski zum Beispiel musste seine Homosexualität verbergen. Man braucht Mut, um Emotionen zu zeigen.

Es gibt einen neuen Mann in Ihrem Leben. Wollen Sie darüber sprechen?

Natürlich. Ich hatte nicht erwartet, mich zu verlieben, und war auch gar nicht offen dafür, als ich ihm begegnete. Mein Freund ist HNO-Arzt in der Schweiz, in der Schwindel-Forschung und spielt gerne und gut Klavier – manchmal sogar mit mir im Duo. Enthusiastisch schrieb er mich einfach an. Zweimal sagte ich ihm ab, doch er blieb hartnäckig und reiste nach München, als er in Mannheim einen Vortrag hielt. Er hat in seinem Leben auch viel Kraft und Mut aufbringen müssen – und hat mich sofort so gesehen, wie ich bin. Damit hatte ich wirklich nicht gerechnet, aber es hat gefunkt. Leider sehen wir uns nicht oft, was mir aber derzeit noch entgegenkommt, da ich mich erst wieder in den Beziehungsmodus einfinden muss. Er hat viel Geduld – und das ist wichtig.

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