Die Netznutzungskosten für Strom sind manchmal höher als der Strompreis selbst. Diese Tatsache sorgte am Mittwoch im Landtag für eine kontroverse Debatte. Im Zentrum stand die Frage: Was passiert mit den Millionengewinnen der Liechtensteinischen Kraftwerke aus dem Stromnetz – und sind diese überhaupt gerechtfertigt?
40 Millionen Gewinn in zehn Jahren
Bereits im November 2024 hatte Thomas Rehak (DpL) ein Postulat eingereicht, um die Netzkosten unter die Lupe zu nehmen. Seine Rechnung ist eindringlich: In den letzten zehn Jahren hat die LKW-Sparte «Netzprovider Strom» Gewinne von knapp 40 Millionen Franken erwirtschaftet. Doch nur eine Million davon sei als Rückstellung im Netzbereich ausgewiesen, kritisierte Rehak. «Wo sind die anderen 37 Millionen hin?«, fragte er mehrfach in die Runde.
Sein Verdacht: Das Geld wurde für andere Geschäftsbereiche verwendet, etwa für Investitionen ins Glasfasernetz. «Wenn wir schon keine Quersubventionierung wollen, dann sollte diese auch verboten sein – nicht über einen dritten Weg trotzdem möglich«, mahnte er.
Gutachten erst einen Tag vor der Sitzung
Für zusätzlichen Unmut sorgte die Informationspolitik: Ein entscheidendes Gutachten zur Berechnung des Zinssatzes wurde den Abgeordneten erst am Vortag zugestellt. «Eine seriöse Vorbereitung war damit kaum möglich«, monierte Sebastian Gassner (FBP). Er forderte künftig mehr Transparenz: «Auf welcher Grundlage soll man sonst eine Beschwerde einreichen können, wenn die Grundlagen fehlen?«
Das Gutachten war zwischen der Energiemarktaufsichtskommission (EMK) und dem Gutachter ursprünglich als vertraulich vereinbart worden. Erst auf Nachfrage der Abgeordneten wurde es freigegeben.
Eigenkapitalzins im Fokus
Technisch drehte sich die Debatte um den sogenannten WACC (Weighted Average Cost of Capital), den gewichteten Kapitalkostensatz. Dieser liegt derzeit bei 3,7 Prozent und bestimmt massgeblich die Höhe der Netznutzungspreise. Dabei wird das Eigenkapital mit 4,31 Prozent verzinst, das Fremdkapital nur mit 2,25 Prozent – gewichtet im Verhältnis 70 zu 30.
«Das ist auf den ersten Blick absurd«, erklärte Erich Hasler (DpL). Normalerweise gelte: Je besser ein Unternehmen selbst finanziert ist, desto günstiger kann es produzieren. «Aber hier ist genau das Gegenteil der Fall.» Er argumentierte, dass bei einem staatlichen Unternehmen das Insolvenzrisiko faktisch null sei. «Ein Risikoaufschlag von über zwei Prozent ist eine Hausnummer, die sich nur schwer rechtfertigen lässt.«
Regierung verweist auf europäisches Recht
Regierungsrat Hubert Büchel verteidigte das System. Die Investitionen in das Netz hätten die Abschreibungen überstiegen, der Wert des Stromnetzes sei gestiegen. «Die Gewinne wurden mehrheitlich ins Netz investiert«, betonte er. Die Versorgungssicherheit in Liechtenstein sei im internationalen Vergleich auf sehr hohem Niveau, Stromausfälle äusserst selten.
Zudem seien der Regierung rechtlich die Hände gebunden: «Die EU-Richtlinie schreibt vor, dass die Festlegung der Netznutzungspreise ausschliesslich Aufgabe der unabhängigen Regulierungsbehörde ist«, erklärte Büchel. Die EMK müsse frei entscheiden können, gesetzliche Vorgaben seien nicht zulässig. Mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofs bestätigten dies.
Tatsächlich müssen sogar bestehende Vorgaben in der liechtensteinischen Elektrizitätsmarktverordnung aufgehoben werden – die EFTA-Überwachungsbehörde hatte moniert, diese schränkten den Handlungsspielraum der Regulierungsbehörde ein.
Was kostet ein Prozent?
Konkret würde eine Senkung des WACC um einen Prozentpunkt die Netznutzungspreise um etwa 0,42 Rappen pro Kilowattstunde senken, rechnete Regierungsrat Büchel vor. Das entspricht einer Änderung der Kapitalkosten von rund 1,6 Millionen Franken.
Transparenz als Kompromiss
Stefan Öhri (VU) versuchte zu vermitteln. Gewinne in einem regulierten System seien durchaus notwendig, um Investitionen zu ermöglichen, ohne unverhältnismässig hohe Schulden aufzunehmen. «Entscheidend ist nicht, ob Gewinne erzielt werden, sondern ob sie nachvollziehbar und transparent nachgewiesen werden.«
Er forderte die EMK auf, künftig jährlich einen Transparenzbericht vorzulegen, der die Berechnungsmethodik, Parameter und Nachkalkulationen verständlich darstellt. «Ich will keine politische Zinspolitik, aber ich will maximale Nachvollziehbarkeit.»
Die Regierung kündigte an, den jeweils gültigen WACC künftig auf der Website der EMK zu veröffentlichen. Zudem soll mit der Umsetzung des vierten EU-Energiemarkt-Liberalisierungspakets eine Tarifvergleichsplattform entstehen.
Stromnetz als «Kupferschatz»
Einig waren sich alle darin, dass das liechtensteinische Stromnetz ein wertvolles Gut ist. Sebastian Gassner sprach von einem «Kupferschatz» im Wert von 320 Millionen Franken. «Darauf müssen wir achtgeben. Wir dürfen das nicht kaputsparen.» Falsche politische Entscheidungen würden sich erst in zehn bis fünfzehn Jahren rächen.
Simon Schächle (DpL), der selbst eine Ausbildung als Netzelektriker bei den LKW absolviert hat, mahnte dennoch: «Das Netz ist Grundversorgung, kein Renditeobjekt. Gewinne über den notwendigen Finanzbedarf hinaus wirken wie eine verdeckte Steuer.«
Postulat abgeschrieben
Am Ende nahm der Landtag die Postulatsbeantwortung mit 24 von 25 Stimmen zur Kenntnis und schrieb das Postulat ab. Die grundsätzlichen Fragen aber bleiben: Wie hoch darf die Rendite auf ein staatliches Monopolnetz sein? Und wie stellt man sicher, dass Gewinne tatsächlich im Netzbereich verbleiben?
