VADUZ – Die Alarmglocken läuten schrill. Immer mehr Kinder und Jugendliche in Liechtenstein leiden unter psychischem Druck. Der Landtag widmete die gestrige Aktuelle Stunde diesem brisanten Thema. Die Diagnose ist klar, die Therapie umstritten. Macht das Smartphone unsere Kinder krank? Oder krankt das gesamte System?
Die Fraktion der Demokraten pro Liechtenstein (DpL) stiess die Tür zur Debatte auf. Sie forderten Antworten zum Thema «Mentale Gesundheit unserer Kinder und Jugendlichen». Marion Kindle-Kühnis (DpL) eröffnete die Runde mit klaren Worten. Sie sieht in den digitalen Medien den Haupttreiber für das psychische Leid. Erst vor zwei Monaten scheiterte ihr Vorstoss für eine handyfreie Schule. Nun legte sie nach. Fast täglich spielten digitale Medien bei Vorfällen an Schulen eine zentrale Rolle.
Der Ruf nach Verboten
Kindle-Kühnis sparte nicht mit Kritik. Die Politik verstecke sich hinter Schlagworten wie Medienkompetenz. Dabei zeigten Studien fatale Folgen. Drei Stunden Medienkonsum pro Tag steigerten das Risiko für Depressionen um 19 Prozent. Ein einziges Handy auf dem Pausenhof genüge, um Kinder mit traumatisierenden Inhalten wie Pornografie oder Gewalt zu konfrontieren. Ihre Forderung blieb hart: Ein flächendeckendes Handyverbot an Schulen muss her. Nur so schaffe man Raum für echte soziale Interaktion.
«»Ein einziges Handy auf dem Pausenhof reicht bereits, dass Kinder mit Inhalten konfrontiert werden, welche sie ein Leben lang traumatisieren.»
Marion Kindle-Kühnis
Unterstützung erhielt sie von der Freien Liste. Sandra Fausch (FL) bezeichnete Smartphones in frühen Jahren als immenses Gesundheitsrisiko. Sie sieht in einer handyfreien Zone einen klaren Mehrwert. Auch drastischere Schritte schloss sie nicht aus. Ein Social-Media-Verbot nach australischem Vorbild? Für Fausch denkbar. Sie sieht keinen Nutzen dieser Plattformen für Kinder.
Kritik am Leistungsdruck
Carmen Heeb-Kindle (VU) weitete den Blickwinkel. Nicht nur das Handy, das ganze Umfeld präge die Gesundheit. Sie richtete den Fokus auf die Jüngsten, die bis Elfjährigen. Die Abgeordnete prangerte den schulischen Druck an. Muss ein Kind in der dritten Klasse Englisch schreiben? Nein. Es brauche Zeit zum Spielen und Entdecken.
«Wenn wir über mentale Gesundheit reden, dürfen wir nicht erst bei den Jugendlichen ansetzen.»
Carmen Heeb-Kindle
Heeb-Kindle warb leidenschaftlich für ein Umdenken. Sie verwies auf Dänemark. Dort fände Unterricht im Wald statt. Mathe mit Steinen, Schreiben auf Baumstämmen. Das senke Stresshormone und stärke die Resilienz. Ihr Appell an die Politik: Weg vom Leistungsdenken, hin zu einer Investition in kleine Klassen und Bewegung.
Gegenstimmen und Datenlage
Die Fortschrittliche Bürgerpartei warnte vor einfachen Lösungen. Franziska Hoop (FBP) gab zu bedenken: Digitale Medien sind nicht die alleinige Ursache. Gesellschaftliche Veränderungen und familiäre Faktoren spielten ebenso hinein. Sie forderte Medienkompetenz statt Symbolpolitik. Auch Eltern müssten lernen, mit der digitalen Flut umzugehen. Ein Klick genüge heute für den Zugang zu Pornografie. Hier müsse das Land hinschauen.
«Es wäre zu einfach, das Problem nur auf Social Media oder Smartphones zu schieben.»
Franziska Hoop
Nadine Vogelsang (FBP) stützte sich auf erste Zahlen. Eine Umfrage am Gymnasium zeige ein differenziertes Bild. Knapp drei Viertel der Schüler schätzten ihre Gesundheit als gut ein. Allerdings litten Mädchen deutlich häufiger als Jungen. Vogelsang mahnte zur Besonnenheit. Das Schulamt baue derzeit erst ein umfassendes Monitoring auf.
Thomas Rehak (DpL) griff die FBP scharf an. Viele Abgeordnete interessierten sich nicht für die Ursachen und wollten nur mit Beratung und Chatbots arbeiten. Das sei nicht die Lösung. Er verwies auf die Corona-Pandemie-Studie des Liechtenstein-Instituts: 9 von 10 Schülerinnen und Schülern der Sekundarstufe seien täglich auf sozialen Medien. Die Zufriedenheit mit dem Leben sei beängstigend: 30 Prozent der weiblichen, nicht deutschsprachigen Jugendlichen seien überhaupt nicht zufrieden. 55 Prozent dieser Gruppe hätten Angstzustände.
Regierungsrat Emmanuel Schädler kündigte konkrete Massnahmen an. Die Regierung setze eine Arbeitsgruppe frühe Kindheit ein. Eltern müssten in ihrer Resilienz gestärkt und in Medienkompetenz geschult werden. Ein umfassendes Psychiatriekonzept befinde sich in Erarbeitung. Die Regierung baue Projekte zur Medienkompetenz und Resilienzförderung aus. Mit SportVibes starte ab Herbst 2025 ein neues Bewegungsprogramm für die Sekundarstufe. Die Beratungsstelle 147.CH werde mit einer landesweiten Kampagne bekannter gemacht.
Die Schule als Kampfzone?
Einen anderen Aspekt brachte Martin Seger (DpL) in den Saal. Er sieht die Schule als Ort der Überforderung. Themen wie sexuelle Identität rückten immer früher in den Fokus. Er kritisierte Theaterstücke mit sexualisierten Inhalten an Schulen. Dies verunsichere Kinder in der sensiblen Phase der Selbstfindung. Seger forderte, die Schule wieder als ideologiefreien Schutzraum zu definieren.
Fazit
Die Debatte zeigte die Zerrissenheit des Landtags. Alle sehen die Not der Jugend. Doch die Wege gehen auseinander. Die einen fordern den harten Riegel vor das Display. Die anderen wollen das Bildungssystem von Grund auf lüften. Die Regierung hörte zu. Handlungsbedarf besteht zweifellos. Die Frage bleibt: Reicht ein Verbot, oder braucht es eine Revolution im Klassenzimmer?
