Heute Abend versammelten sich Geschichtsinteressierte, darunter auch S.D. Fürst Hans-Adam von und zu Liechtenstein im Seminarzentrum Stein Egerta, um einem besonderen Vortrag von Prof. Dr. Václav Horcicka beizuwohnen. Unter dem Titel „Liechtenstein und Tschechien, eine besondere Beziehung“ beleuchtete der renommierte Historiker die vielschichtige Verbindung zwischen den beiden Ländern.
Die Liechtensteinisch-Tschechische Historikerkommission, die den Abend mitorganisierte, feiert dieses Jahr ihr 15-jähriges Bestehen. Sie setzt sich für die wissenschaftliche Aufarbeitung der gemeinsamen Geschichte ein.
Der Vortrag begann mit einem Rückblick auf die Jahrhunderte alte Verbindung des Hauses Liechtenstein zu den böhmischen Ländern. Nach der Niederschlagung des Böhmischen Ständeaufstands 1620 erlangte die Familie durch Kaiser Ferdinand II. grossen Einfluss. Fürst Karl I. von Liechtenstein wurde Präsident des Tribunals der Stände. Doch diese Rolle brachte auch Spannungen mit der tschechischen Bevölkerung mit sich, die bis ins 20. Jahrhundert nachwirkten.
Mit dem Zerfall der Habsburgermonarchie 1918 änderte sich die Lage grundlegend. Die neu gegründete Tschechoslowakei stand vor der Herausforderung, den Status des Hauses Liechtenstein zu klären. Die Bodenreformen der 1920er Jahre führten zu erheblichen Landverlusten für die Familie. Prof. Horcicka erläuterte, wie politische und nationale Interessen die folgenden Entscheidungen der Behörden beeinflussten, welche mit den Enteignungen betraut waren.
Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags war die Rolle des Hauses Liechtenstein während des Zweiten Weltkriegs. Franz Josef II., der damalige Fürst, bemühte sich um Neutralität, pflegte jedoch auch Kontakte zu deutschen Behörden. Diese komplexe Position wurde von Prof. Horcicka differenziert dargestellt, wobei er betonte, dass viele Aspekte noch weiterer Forschung bedürfen.
Die Beneš-Dekrete: Ein juristisches und politisches Minenfeld
Die Enteignungen des liechtensteinischen Eigentums begann 1945 mit Dekreten von Präsident Edvard Beneš, wobei Horcicka erklärte, dass Beneš nicht die treibende Kraft dahinter war. Als Grundlage der Enteignungen beriefen sich die Behörden auf die „deutsche Nationalität“ des Fürsten, welche sie aus einem Zensusformular von 1930 ableiteten. In diesem Dokument ist die Muttersprache als „Deutsch“ angegeben wurde. Prof. Horcicka stellte jedoch die Legitimität dieses Formulars infrage und wies auf zahlreiche Verfahrensfehler hin. Ausserdem hätte es regierungsintern Verordnungen gegeben, Schweizer und Liechtensteiner Bürgern nicht gleich zu behandeln, wie Deutsche.
Die rechtlichen Auseinandersetzungen zogen sich über Jahre hin. Das oberste Verwaltungsgericht der Tschechoslowakei zeigte zunächst Bereitschaft, die Konfiskationen zu überprüfen. Die Akten des zuständigen Referenten würden darauf hindeuten, dass das Gericht die Enteignung als unrechtmässig einstufen wollte. Doch wurde die Verhandlung vertagt. Der kommunistische Putsch von 1948 beendete jede Hoffnung auf eine faire Lösung. Die neuen Machthaber bestätigten die Enteignungen und blockierten jegliche Entschädigungsansprüche.
Schweiz als schwacher Vermittler
Die Schweiz, die nach dem Krieg die Interessen Liechtensteins vertreten sollte, agierte zurückhaltend. Bern wollte keinen Konflikt mit Prag riskieren, da es eigene wirtschaftliche und diplomatische Interessen verfolgte. Diese zögerliche Haltung enttäuschte das Haus Liechtenstein, das auf stärkeren Beistand gehofft hatte.
Ein ungelöster Konflikt
Bis heute bleibt die Frage der Enteignungen ein sensibles Thema. Der Vortrag zeigte, dass die Konfiskationen nicht nur juristische, sondern auch politische und wirtschaftliche Motive hatten. Die tschechoslowakischen Behörden nutzten die Vorwürfe gegen das Haus Liechtenstein, um populistische Ziele zu verfolgen und den Grossgrundbesitz zu beseitigen.
Fazit
Der Vortrag von Prof. Dr. Václav Horcicka bot den Zuhörern tiefe Einblicke in die komplexen Beziehungen zwischen Liechtenstein und Tschechien. Die Diskussion im Anschluss verdeutlichte, wie wichtig es ist, historische Ereignisse differenziert zu betrachten. Seine Ausführungen eröffneten neuen Perspektiven und einem tieferen Verständnis für die komplexen Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Václav Horcicka, Professor an der Karlsuniversität in Prag, ist ein ausgewiesener Kenner der mitteleuropäischen Geschichte. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf den internationalen Beziehungen und der Aussenpolitik der Habsburgermonarchie. Mit seiner beeindruckenden Vita und zahlreichen Publikationen hat er sich einen Namen in der Geschichtswissenschaft gemacht.