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Braucht Liechtenstein drei Gerichtsinstanzen?

Flagge vor dem Landtag
Werbung im Landesspiegel

In Liechtenstein gibt es im Zivil- und Strafrecht in der Regel drei Instanzen: das Fürstliche Landgericht, das Fürstliche Obergericht und den Fürstlichen Obersten Gerichtshof. Es ist jedoch nicht in jedem Fall möglich, tatsächlich alle drei Instanzen in Anspruch zu nehmen. Die Möglichkeit, Rechtsmittel beim Obersten Gerichtshof einzulegen, wurde kürzlich sogar etwas eingeschränkt. Angesichts der Grösse des Landes stellt sich dennoch die Frage, ob eine solche Struktur wirklich notwendig ist.

Die geplante Justizreform, deren Vernehmlassungsfrist vor etwas mehr als einer Woche abgelaufen ist, sieht unter anderem vor, den Obersten Gerichtshof abzuschaffen oder genauer gesagt, mit dem Obergericht zu einem Obergerichtshof zu vereinheitlichen. Dadurch sollen Entscheidungen beschleunigt und Kosten gesenkt werden. Ob dies tatsächlich der Fall ist und ob es sinnvoll ist, möchten wir in diesem Artikel beleuchten.

Die Gerichtsorganisation in Liechtenstein wurde grundlegend von Österreich übernommen. Dort gibt es jedoch vier Oberlandesgerichtssprengel, die sich wiederum in mehrere Landesgerichtssprengel unterteilen, die mehrere Bezirksgerichte haben. Daher macht ein zentraler Oberster Gerichtshof in Österreich Sinn, um eine Vereinheitlichung der Rechtsprechung zu gewährleisten. In Liechtenstein gibt es jedoch nur einen Gerichtssprengel, wenn man es so nennen möchte. Ist ein Oberster Gerichtshof also tatsächlich notwendig?

Auch in Liechtenstein gibt es in der ersten und zweiten Instanz Richter, die unterschiedliche Auslegungen eines Gesetzes haben können. Dies ist völlig normal und akzeptabel. Insbesondere wenn man bedenkt, dass in Liechtenstein Richter gibt, die in Österreich studiert haben, und andere, die in der Schweiz studiert haben, wird klar, dass es zu unterschiedlichen Rechtsauffassungen kommen kann. Wenn es nun gerade in meinem Fall zwei abweichende Meinungen gäbe, wäre es nur vom Zufall abhängig, zu welchem Richter mein Fall gelangt und wie das Urteil dann ausfällt. Daher macht auch in Liechtenstein ein Oberster Gerichtshof, der einheitliche Interpretationen schafft, sehr viel Sinn.

Darüber hinaus erhöht die Arbeitsweise des Obersten Gerichtshofs die Qualität der Entscheidungen. Der OGH ist eine reine Rechtsinstanz, er vernimmt keine Zeugen und erhebt selbst keine Beweise. Die Richter kümmern sich ausschliesslich um Rechtsfragen und haben dafür ausreichend Zeit, sich intensiv damit auseinanderzusetzen. Dadurch können fundierte und rechtlich einheitliche Entscheidungen getroffen werden.

Was sagen die Experten?

Vom Forschungszentrum Liechtensteinisches Recht der Universität Innsbruck fand kürzlich ein Online-Vortrag über die Reformpläne statt. Fast 100 Teilnehmer diskutierten intensiv über den Gesetzesentwurf.

Im Impulsvortrag von Michael Nueber wurden die Gründe und Hintergründe der Reform erläutert. Ein zentraler Auslöser für die Reform ist der Greco-Bericht. Greco empfiehlt die Anpassung des Richter-Auswahlsverfahrens durch eine Stärkung und verstärkte Einbindung der Justiz, insbesondere durch die Überprüfung der nebenamtlichen Richterstellen und die Einführung von Bestimmungen zur Vermeidung von Interessenkollisionen bei nebenamtlichen Richtern, die gleichzeitig aktive Rechtsanwälte sind. Zudem wird die Einführung eines Richterlichen Verhaltenskodex und Schulungen zur richterlichen Integrität empfohlen. Liechtenstein hat bereits Massnahmen zur Umsetzung des Greco-Berichts ergriffen.

Nueber weisst darauf hin, dass die vorgeschlagene Lösung, zumindest gemäß dem Bericht von Monaco, nicht von Greco beabsichtigt ist. Ein weiterer Greco-Evaluationsbericht, der sich auf Island bezieht, führte zur Einführung einer dritten Instanz in deren Rechtssystem. Es wird betont, dass die dritte Instanz, die in Liechtenstein bereits seit 1815 existiert, als wohltätig angesehen wird, da ein Höchstgericht mit Topjuristen isoliert komplexe Rechtsfragen betrachten und eine objektivierbare Entscheidung innerhalb des Gesamtrechtssystems treffen kann.

Der Greco-Bericht moniere über Liechtenstein nicht hauptsächlich ausländische Richter oder nebenamtliche Richter betrifft, sondern vielmehr darauf hinweist, dass einige Richter gleichzeitig Rechtsanwälte sind. Dieses Problem besteht jedoch beim Liechtensteiner Obersten Gerichtshof nicht, da dort nur zwei Richter aus Liechtenstein gleichzeitig als Rechtsanwälte tätig sind, was zu keiner Beeinträchtigung der Entscheidungstätigkeit führt.

Rechtsanwälte

Vertreter der Anwaltschaft in Liechtenstein äusseren erhebliche Bedenken hinsichtlich der geplanten Justizreform. Verschiedene Rechtsanwälte argumentierten, dass diese eine wesentliche Einschränkung des Rechtsschutzes bringen würde. Die Rolle des Präsidenten des Obergerichts oder des neuen Obergerichtshofs als erste Instanz, mit einem Rechtszug zum Senat, könne keinen Ersatz für das bisherige System bieten. Eine solche Verkürzung des Rechtsschutzes wird von der Anwaltschaft kritisch betrachtet.

Des Weiteren verweist man mehrfach auf die Auswirkungen der Fallzahlen. Vor fünf Jahren wurde eine ZPO-Novelle eingeführt, die die Revision zum Obersten Gerichtshof beschränkte, um die Fallzahlen zu reduzieren und den Fokus auf wesentliche Leitentscheide zu legen. Diese Beschränkung führte tatsächlich zu einem Rückgang der Fallzahlen, und der Oberste Gerichtshof konnte sich intensiver mit den verbleibenden Fällen befassen. Daher wird das Argument, den Obersten Gerichtshof abzuschaffen, aufgrund der geringen Fallzahlen als nicht überzeugend angesehen.

Betont wird auch die Bedeutung einer reinen Rechtsinstanz als Höchstgericht. Diese könne sich auf komplexe Rechtsfragen konzentrieren, während die niedrigeren Instanzen sich mit Sachverhaltsfragen befassen. Diese fachliche Auseinandersetzung zwischen den Rechtsmittelinstanzen wird geschätzt und trägt zur Fortentwicklung des Rechts bei.

Zur Besetzung des höchsten Gerichts mit ausländischen Richtern vertreten einige Anwälte die Meinung, dass diese Unabhängigkeit stärkt und Klüngelei verhindert. Das Wirtschaftsmodell von Liechtenstein würde auf ausländischem Kapital basieren und eine Gerichtsbarkeit benötigen, die internationalen Standards entspricht. Daher sei der Verzicht auf ausländisches Know-how in der Justiz für unverständlich.

Richter

Von den Teilnehmenden Richtern kommt Bedenken und kritik an der geplante Reform. Eine empirische Studie in Österreich, zeige, dass die Schnelligkeit der Schutzgerichtsbarkeit von den Nutzern als Nachteil empfunden wird, da sie bei einer Niederlage keine effektiven Rechtsmittel haben. Als wichtiges Argument wird auch mehrfach erwähnt, dass einem Land mit vielen Rezeptionsrechtsordnungen (anm. Gesetzte die von anderen Ländern übernommen werden) die Leitfunktion des Höchstgerichts nicht noch zentraler ist als in anderen Jurisdiktionen.

Die Bedeutung einer verbesserten Qualität in den unteren Instanzen und dass ein Höchstgericht als reine Rechtsinstanz sei wichtig, um sich auf schwierige Rechtsfragen zu konzentrieren. Ein Richter sieht einen positiven Effekt in der Wechselwirkung zwischen dem Obergericht und dem Höchstgericht, da dadurch eine fachliche Auseinandersetzung und Fortentwicklung des Rechts entsteht. Er argumentiert, dass das Fehlen einer Lehre im Land die Rechtsentwicklung noch wichtiger macht und dass man diese nicht abschaffen, sondern fördern sollte.

Was sagen die Parteien?

Der Landesspiegel hat sich bemüht, mit allen im Landtag vertretenen Parteien über ihre Standpunkte zur Justizreform zu sprechen. Wir sind uns bewusst, dass der Gesetzgebungsprozess noch recht am Anfang steht und dass die zahlreichen Stellungnahmen erst von der Regierung in den Entwurf eingearbeitet werden. Dennoch war es für uns wichtig zu erfahren, wie die Parteien zu dem Thema stehen.

VU

Von Seiten der Vaterländischen Union hat der Landtagsabgeordnete Thomas Vogt auf unsere Anfrage geantwortet und ausführlich mit uns gesprochen. Zu Beginn des Gesprächs stellt er klar, dass die Meinungsbildung innerhalb der VU erst am Anfang steht und die Fraktion noch keine endgültige Meinung zur Justizreform beschlossen hat. Dennoch legt er in unserem Gespräch seine persönliche Meinung dar.

Grundsätzlich begrüsst Vogt das Ziel, schnellere und effizientere Verfahren zu erreichen. Allerdings hegt er Zweifel, ob dies mit der vorgeschlagenen Reform, wie sie in der Vernehmlassung skizziert wurde, tatsächlich möglich ist.

Derzeit ist die Qualität der Entscheidungen des Obergerichts sehr hoch. Es gibt derzeit einige herausragende Richter, wahre Koryphäen in ihren Fachbereichen.

Des Weiteren bezweifelt Vogt, dass bei einem neuen Obergerichtshof für Zivil-, Straf- und Verwaltungsrecht die notwendige Expertise in den jeweiligen Fachbereichen gewährleistet sein wird. Dies dürfte kaum zu einer Verbesserung der Qualität beitragen.

Die Kritik anderer Anwälte, dass lediglich Richterposten zwischen verschiedenen Gerichten verschoben werden und es keine wesentlichen Verbesserungen gibt, teilt Vogt nicht. Es besteht durchaus die Möglichkeit, Kosten einzusparen. Allerdings dürfe dies nicht auf Kosten der Qualität der Entscheidungen geschehen.

Ebenfalls positiv bewertet Vogt die Idee eines Fachsenats am Landgericht. Angesichts der zunehmend komplexen finanztechnischen Fragestellungen würden Experten aus dem Finanzbereich zweifellos zur Verbesserung der Entscheidungsqualität beitragen.

Jedoch betrachtet er das Instrument des Richters auf Probe skeptisch. Gerade im Strafrecht könnte es für Angeklagte möglicherweise nicht vorteilhaft sein, von einem «Richter auf Probe» gegenüberzusitzen. Vogt erläutert jedoch, dass dies möglicherweise nur an der Bezeichnung liegen könnte.

Abschliessend betont Vogt erneut, dass er die Ziele der Reform als gut und richtig erachtet. Die Stellungnahmen im Vernehmlassungsverfahren werden nun ausgewertet und entsprechend in den weiteren Gesetzgebungsprozess einfliessen.

FBP

Für die Fortschrittliche Bürgerpartei teilte der Abgeordnete Daniel Seger schriftlich mit:

  • Die Frist für die Einreichung einer Stellungnahme zur Vernehmlassung bei der Regierung ist erst am 15. Mai 2023 abgelaufen.
  • Der Landtag und seine Abgeordneten haben bisher keine entsprechende Vorlage erhalten. Es ist auch noch nicht sicher, ob eine solche Vorlage überhaupt an den Landtag gelangen wird. Falls ja, dann wird die Regierung jetzt erst damit beginnen, eine solche Vorlage (Bericht und Antrag, BuA) zu erstellen.
  • In der Partei wie auch in der Fraktion konnten wir die Justizreform bisher nicht besprechen, somit kann ich weder eine Stellungnahme für die Partei noch für die Fraktion abgeben. Dies wäre auch ungewöhnlich, denn normalerweise wird der Landtag und die Landtagsfraktion erst nach Einreichen eines Berichts und Antrags (der noch nicht vorliegt) um Stellungnahmen und dergleichen angefragt. Zu Vernehmlassungen ist dies bisher nicht geschehen.

FL und DpL

Von der Freien Liste und den Demokraten pro Liechtenstein haben wir bis zum Redaktionsschluss keine Stellungnahme erhalten.

Fazit

Die geplante Justizreform, die eine Umstrukturierung und möglicherweise eine Abschaffung des Obersten Gerichtshofs vorsieht, ist sicherlich ein diskussionswürdiges Thema. Es müssen sorgfältig die Vor- und Nachteile abgewogen werden, insbesondere in Bezug auf die Effizienz, die Kosten und die Rechtssicherheit. Die Befürworter der Reform argumentieren, dass durch die Vereinheitlichung der Gerichtsstruktur Entscheidungen schneller getroffen und Kosten eingespart werden können. Eine effizientere Gerichtsbarkeit könnte dazu beitragen, Rechtsstreitigkeiten zeitnah zu lösen und die Zufriedenheit der Justizteilnehmer zu steigern.

Die geplante Justizreform bietet die Möglichkeit, die bestehende Gerichtsstruktur zu überdenken und möglicherweise zu optimieren. Dabei sollten sowohl die Bedürfnisse der Justizteilnehmer als auch die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und der Unabhängigkeit der Justiz angemessen berücksichtigt werden. Eine fundierte Debatte und eine breite Beteiligung aller relevanten Akteure sind erforderlich, um die bestmögliche Lösung für Liechtenstein zu finden.

Es ist wichtig, dass bei der Diskussion um die Gerichtsreform alle relevanten Aspekte berücksichtigt werden. Neben den Effizienz- und Kostengesichtspunkten müssen auch die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Gewährleistung einer gerechten und fairen Rechtsprechung gewahrt bleiben. Eine sorgfältige Abwägung der Vor- und Nachteile ist unerlässlich, um eine angemessene Lösung für Liechtenstein zu finden.

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