In der Aktuellen Stunde diskutierte der Landtag die Zukunft des Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge, was zu einer kontroversen Debatte über die Kapazitäten des Landes und eine langfristige Strategie führte. Das Thema wurde von der DpL initiiert, die drei Kernfragen stellte: ob eine Anpassung des Schutzstatus S nach dem Vorbild Norwegens oder der Schweiz notwendig sei, ob eine verbindliche, langfristige Strategie erforderlich ist und welche Eckpfeiler eine solche Strategie umfassen müsste.
Kapazitätsgrenzen und die Frage nach einer Obergrenze
Die DpL-Fraktion argumentierte, dass Liechtenstein in seinem Asyl- und Flüchtlingswesen stärker gefordert sei als je zuvor und seine Kapazitäten an ihre Grenzen stossen. Abgeordneter Simon Schächle (DpL) hob hervor, dass mit etwa 20 Asylsuchenden pro 1000 Einwohner Liechtenstein über dem europäischen Durchschnitt liege und eine Obergrenze festlegen müsse. Er betonte, dass Solidarität allein nicht mehr ausreiche und eine klare Linie, Planung und Weitsicht erforderlich seien.
Andere Abgeordnete widersprachen dieser Darstellung. Landtagsvizepräsidentin Franziska Hoop (FBP) erklärte, dass Liechtenstein mit 2,2 Gesuchen pro 1000 Einwohner nur knapp über dem europäischen Schnitt liege und keine Rede von einer Krise sein könne. Sie warnte davor, die Schutzrechte einzuschränken, da dies die humanitäre Glaubwürdigkeit des Landes schwächen und Unsicherheit bei den Schutzsuchenden schaffen würde. Regierungsrat Hubert Büchel stellte klar, dass die völkerrechtlichen Verpflichtungen Liechtensteins keine Obergrenzen zulassen.
Schutzstatus S: Sonderfall oder Ungleichbehandlung?
Ein zentraler Punkt der Diskussion war der Schutzstatus S selbst. Die DpL-Fraktion kritisierte, dass der ursprünglich als Notlösung gedachte Status zu einer Dauerlösung geworden sei. Schächle wies darauf hin, dass dieser Status ukrainischen Flüchtlingen Privilegien wie die Reisefreiheit gewähre, die anderen Flüchtlingen verwehrt bleiben, was eine «Zwei-Klassen-Gesellschaft im Asylwesen» schaffe. Thomas Rehak (DpL) bestätigte, dass viele ukrainische Flüchtlinge nicht unbedingt in ihre Heimat zurückkehren wollen und eine gewisse Sicherheit benötigen, um ihren Lebensweg planen zu können.
Tanja Cissé (VU) bekräftigte, dass es nicht darum gehe, den Status aufzulösen und die Flüchtlinge zurückzuschicken. Vielmehr sah sie ein Problem in der Ungleichbehandlung der Geflüchteten. Sie wies darauf hin, dass Personen mit Schutzstatus S im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen reisen dürften und nach fünf Jahren automatisch eine Aufenthaltsbewilligung erhielten, ohne die gleichen Integrationskriterien erfüllen zu müssen.
Cissé plädierte dafür, den Schutzstatus S inhaltlich zu überprüfen und anzupassen. Sie begründete dies mit der Notwendigkeit von «gleichen Regeln für alle», da Krieg unabhängig vom Herkunftsland gleichermassen schlimm sei. Mit Blick auf die Fraktion der DPL bat sie um Klärung, wie diese die Probleme des Schutzstatus S sieht und welche Lösungen sie vorschlägt.
Daniel Seger (FBP) signalisierte seine Bereitschaft, gemeinsam mit der Schweiz oder in Anlehnung an deren Vorgehen eine Lösung für den Schutzstatus S zu finden. Er äusserte sich jedoch kritisch gegenüber einer starren Strategie, da diese die notwendige Flexibilität nehmen könnte. Seiner Ansicht nach sollte Liechtenstein weiterhin auf seine kurzen Wege und schnelle Reaktionsfähigkeit bauen.
Ein wichtiger Punkt in Segers Ausführungen war, dass er im direkten Kontakt mit Menschen und Vertretern der Ukraine gehört hat, dass diese in ihre Heimat zurückkehren möchten. Er betonte, dass die Ukraine für sie die Heimat bleiben werde und die Arbeitskräfte und das Fachwissen dort dringend benötigt würden. Er schloss mit dem Satz, dass Liechtenstein zwar ein sicherer Zufluchtsort sein solle, aber die Ukraine für die Flüchtlinge die Heimat bleibe.
Eine klare Position gegen eine Überarbeitung des Status nach dem Vorbild Norwegens oder der Schweiz hat Manuela Haldner-Schierscher (FL) eingenommen. Ihre Argumentation stützte sich auf die praktischen und humanitären Konsequenzen solcher Massnahmen.
Sie argumentierte, dass dies nicht zu einer Entlastung der Verwaltung führe, sondern im Gegenteil zu einem Anstieg von Asylgesuchen und damit zu einem grösseren Aufwand. Sie bezeichnete dies als «Augenwischerei», da es Probleme nur von einem Schreibtisch zum anderen verschiebe, anstatt sie zu lösen.
Forderung nach einer Gesamtstrategie
Die Forderung nach einer umfassenden, langfristigen Strategie war ebenfalls ein wichtiger Debattenpunkt. Die DpL-Fraktion sah eine solche Strategie als notwendig an, um der Bevölkerung und den Flüchtlingen Klarheit und Verlässlichkeit zu bieten. Sie verwies auf die Notwendigkeit, unterschiedliche Szenarien für die Zukunft zu entwerfen.
Regierungsrat Hubert Büchel stellte klar, dass es bereits eine vierteilige Strategie gibt, die die Aktivierung des Schutzstatus S, die Bereitstellung von Unterkünften und Betreuung, die Integration und schliesslich die Aufhebung des Status und Unterstützung beim Wiederaufbau umfasst. Er betonte, dass diese Strategie laufend angepasst werde und die Regierung sich eng mit europäischen und schweizerischen Partnern abstimme. Er wies auch darauf hin, dass eine separate Regelung für Liechtenstein, wie die Definition von „sicheren Gebieten“, zu einem erheblich höheren Personal- und Ressourcenaufwand führen würde.
