Am Internationalen Tag der Menschenrechte erinnern wir uns daran, dass Würde und Gleichheit nicht in Sonntagsreden entstehen, sondern mit politischem Willen. Gerade deshalb lohnt sich ein Blick auf die Antworten der Regierung zu unseren kleinen Anfragen im Dezemberlandtag, die exemplarisch zeigen, wie viele menschenrechtlich relevanten Fragen in Liechtenstein weiterhin ungelöst sind und wie dringend es verbindliche Schritte braucht.
So liegt der Normalarbeitsvertrag für die 24-Stunden-Betreuung seit über einem Jahr bereit, doch die Regierung kann weder ein Datum für dessen Inkrafttreten nennen noch konkrete Kontrollen in Aussicht stellen. Die Menschen, die diese essenzielle Care-Arbeit leisten, bleiben damit in einer rechtlichen Grauzone zurück, in der ihre Leistung zwar gebraucht, ihr Schutz aber aufgeschoben wird. Während die Regierung mit «internen Abklärungen und fachlichen Abgrenzungen» beschäftigt ist, warten jene, die unser Betreuungs- und Pflegesystem tragen, weiter auf die Mindeststandards, die ihnen längst zustehen sollten.
Wir haben ausserdem nachgefragt, wie es um die längst überfällige Einführung eines barrierefreien und stillen Notrufs steht. Für gehörlose Menschen, für Personen mit Sprachbarrieren oder für Betroffene von häuslicher Gewalt wäre ein solches Instrument kein technisches nice-to-have, sondern ein Schutzraum. In ihrer Antwort verweist die Regierung auf laufende Systemumstellungen, auf spätere Evaluierung und auf ein mögliches Entscheiddatum Mitte 2026. Bis dahin sollen jene, die am dringendsten Schutz brauchen, weiterhin in einem System navigieren, das sie strukturell benachteiligt. Dass ausgerechnet ein zentrales Instrument der Sicherheit auf unbestimmte Zeit verschoben wird, wirft Fragen zur Prioritätensetzung und zur Sensibilität gegenüber den betroffenen Gruppen auf.
Auch die Antwort zur angekündigten Gleichstellungsstrategie zeigt, wie schwer sich Liechtenstein mit verbindlichen menschenrechtlichen Fortschritten tut. Die Überarbeitung zieht sich hin, ein präziser Zeitplan fehlt, und die Regierung bleibt vage, wann ein kohärentes Konzept tatsächlich vorliegen wird. Damit verzögern sich zentrale Leitplanken, die notwendig wären, um Chancenungleichheit abzubauen und strukturelle Benachteiligung sichtbar und bearbeitbar zu machen.
Die genannten kleinen Anfragen stehen für weit mehr als die jeweiligen Themen. Sie sind Beispiele für strukturelle Verzögerungen in Bereichen, in denen Menschenrechte ganz konkret berührt werden: faire Arbeitsbedingungen, barrierefreier Zugang zu Sicherheit, Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Am internationalen Tag der Menschenrechte erinnern wir uns deshalb nicht nur an universelle Prinzipien, sondern an unsere Verantwortung, sie im eigenen Land einzulösen. Die Freie Liste wird nicht damit aufhören, nachzufragen, Druck aufzubauen und sichtbar zu machen, wo Verbesserungen möglich – und notwendig – sind. Menschenrechte sind kein Projekt, das man in Etappen und je nach Ressourcenkapazität umsetzt. Sie zu gewährleisten ist kein Versprechen für später, sondern die Pflicht von heute.
Tatjana As’Ad
Freie Liste