Der Landtag hat gestern Abend nach einer langen und emotional geführten Debatte dem Antrag der Swissgrid AG auf Enteignung der Durchleitungsrechte für die Höchstspannungsleitung Bonaduz–Rütti in Balzers knapp zugestimmt. Von 25 anwesenden Abgeordneten votierten 14 für die zwangsweise Einräumung von Dienstbarkeiten, die es der Swissgrid AG ermöglichen, den Betrieb der Leitung über private Grundstücke fortzuführen.
Befristung auf 15 Jahre zugesagt
Die Zustimmung erfolgte unter der Zusicherung der Regierung, die Enteignung auf maximal 15 Jahre zu befristen. Regierungsrat Hubert Büchel erklärte, die Befristung werde auf 15 Jahre festgesetzt – dies jedoch als „Minimum“, um die Verhandlungen über einen Staatsvertrag mit der Schweiz konstruktiv weiterführen zu können.
Die Leitung wird seit dem Auslaufen der ursprünglichen Dienstbarkeitsverträge im Jahr 2021 per Verwaltungsbot geduldet. Das Verfahren gilt seit Jahren als rechtlich wie politisch hochsensibel.
Sorge vor Entscheid des Staatsgerichtshofs
Mehrere Befürworter der Enteignung warnten, ein Nein des Landtages könnte Swissgrid dazu veranlassen, den Staatsgerichtshof (StGH) anzurufen. Dort würde das übergeordnete öffentliche Interesse an der Stromversorgungssicherheit Liechtensteins vermutlich höher gewichtet. Abgeordnete Franziska Hoop (FBP) betonte, ein solcher Entscheid könnte zu einer unbefristeten Enteignung ohne Begleitmassnahmen und ohne parlamentarische Mitsprache führen.
Widerstand wegen Gesundheitsrisiken und Alternativvariante
Scharfen Widerstand äusserte insbesondere die DpL. Sie kritisierte, die Politik habe das Problem seit Jahrzehnten nicht gelöst, und verwies auf die Belastung der Anwohner im dicht besiedelten Gebiet Brühl. Dort seien in 45 Haushalten über 32 Jahre hinweg 32 Krebsfälle bekannt geworden, was die Sorgen der Bevölkerung verstärke.
«Welchen Wert hat ein Vertrag noch, wenn eine Seite ihn ignorieren kann und am Ende die Enteignung als bequemster Weg bleibt.»
Marion Kindle-Künis
Die Gegner argumentierten zudem, eine Enteignung auf dem bestehenden Trassee sei nicht gerechtfertigt, da mit der Variante „M-optimiert“ eine technisch realisierbare Alternative vorliege. Diese würde die Leitungsführung auf liechtensteinischem Gebiet von 2,55 auf 1,6 Kilometer verkürzen und wird von Gemeinde und Bürgergenossenschaft unterstützt. Ein Ja zur Enteignung nehme Swissgrid den Druck, eine Verlegung ernsthaft zu prüfen.
Regierungsrat Büchel widersprach. Die Schweizer Seite – Bundesrat Rösti und das Bundesamt für Energie – habe die Variante M-optimiert bereits als „nicht gangbar“ eingestuft. Auch Kompromissvorschläge wie eine Teilerdverlegung seien von lokalen Interessensgruppen abgelehnt worden.
Landtag lehnt Verschiebung ab – setzt aber Kommission ein
Ein Antrag von Abgeordneter Carmen Heeb-Kindle (VU), das Verfahren bis Dezember 2027 zu unterbrechen, um eine einvernehmliche Leitungsführung zu verhandeln, scheiterte mit 10 Ja-Stimmen.
«Ich erwarte, dass alles dafür getan wird, dass in den 15 Jahren eine gemeinsame Lösung gefunden wird.»
Tanja Cisse
Unmittelbar nach der Annahme der Enteignung stimmte der Landtag jedoch dem Antrag von Bettina Petzold-Mähr (FBP) zu, eine Besondere Landtagskommission (BLK) einzusetzen. Diese soll die Regierung bei den weiteren Schritten begleiten, die Anliegen der Betroffenen einbringen und die Entscheidungsgrundlagen transparent aufbereiten. Die BLK wurde mit 19 Stimmen bei 24 Anwesenden angenommen; die Mitglieder werden zur Landtagseröffnung am 15. Januar 2026 gewählt.
Verfahren noch nicht abgeschlossen
Trotz des knappen Ergebnisses ist das Verfahren nicht beendet. Gegen den Beschluss des Landtags ist eine Beschwerde an den Staatsgerichtshof möglich. Die Regierung kündigte an, den Umfang und die zeitliche Befristung der Enteignung festzulegen und dabei den Wunsch des Landtags nach einer auf 15 Jahre begrenzten Lösung grundsätzlich zu berücksichtigen.
