Startseite Inland Parlamentarische Stellvertretung, ja – aber wie?

Parlamentarische Stellvertretung, ja – aber wie?

Die Institution der parlamentarischen Stellvertretung ist in Liechtenstein gelebte Praxis – und zugleich ein politischer Zankapfel. In einem aufschlussreichen Vortrag unter dem Titel „Das ‹vertretbare› Parlament – parlamentarische Stellvertretung in Liechtenstein und den Schweizer Kantonen“ beleuchtete die Politologin Karin Frick am Montagabend die verschiedenen Modelle parlamentarischer Stellvertretung und ordnete das Liechtensteiner System in einen breiteren, internationalen Kontext ein.

Die Veranstaltung lockte zahlreiche Interessierte ins Liechtenstein-Institut, wo Frick – seit Februar Forschungsbeauftragte Politik und frisch gebackene Doktorandin der Universität Bern – zentrale Erkenntnisse aus ihrer Dissertation präsentierte. Sie analysierte darin Stellvertretungssysteme nicht nur im Fürstentum, sondern auch in sechs Schweizer Kantonen, darunter Graubünden, Wallis, Jura, Neuenburg, Genf und Aargau.

Zwischen Wahllisten und Wahlkreisen – verschiedene Typen der Stellvertretung

Im Zentrum des Vortrags stand die Unterscheidung verschiedener Typen von parlamentarischer Stellvertretung. Frick identifizierte fünf Hauptmodelle, die sich entlang zweier Achsen einordnen lassen: Einerseits danach, ob inhaltliche Positionen (substanziell) oder persönliche Merkmale (deskriptiv) im Vordergrund stehen, andererseits nach dem Grad an Eigenständigkeit, den die Stellvertreterinnen und Stellvertreter im parlamentarischen Prozess besitzen – vom freien „Trustee“ bis zum gebundenen „Delegate“.

Das Liechtensteiner Modell, so Frick, ordnet sich dem substanziellen und zugleich stark eingeschränkten Delegierten-Modell zu. Hier ist die Stellvertretung eng an die Wahlliste gebunden – inhaltliche Nähe zur vertretenen Person ist zentral. Die Stellvertretenden dürfen allerdings keine parlamentarischen Vorstösse einreichen und werden von den Fraktionen aufgeboten. Dies schränke ihren Handlungsspielraum erheblich ein.

Schweizer Vielfalt: Von inhaltlicher Repräsentation bis zur reinen Präsenzsicherung

Ganz anders präsentieren sich die Systeme in der Schweiz. Besonders eindrücklich illustrierte Frick die Unterschiede anhand von vier Fallbeispielen: Jura, Neuenburg, Genf und Wallis.

In Jura und Neuenburg etwa ähnelt das System jenem Liechtensteins: Stellvertretende stammen von der gleichen Wahlliste wie die ordentlichen Abgeordneten, was inhaltliche Kontinuität garantieren soll. In Graubünden hingegen wird stärker auf die Herkunft aus dem gleichen Wahlkreis geachtet – hier zählt weniger die Parteizugehörigkeit, sondern vielmehr die „Lebenswelt“, wie Frick es nannte: Stadt oder Tal, Sprachregion, kulturelles Umfeld.

Ein besonders flexibles Modell findet sich im Kanton Wallis: Dort wählt die Bevölkerung sowohl ordentliche Abgeordnete als auch eine gleich grosse Gruppe an Stellvertretenden. Im Vertretungsfall darf das abwesende Ratsmitglied selbst entscheiden, wer es ersetzen soll – unabhängig von Partei oder Herkunft. Ziel sei es primär, das Parlament stets vollständig zu besetzen, betonte Frick.

Stellvertretung als Spiegel der Repräsentation

Geht es darum, politische Inhalte konstant zu vertreten? Oder sollen verschiedene gesellschaftliche Gruppen und Lebenswelten sichtbar bleiben? Oder zählt am Ende schlicht die Präsenz – Hauptsache, das Parlament bleibt arbeitsfähig?

In einer abschliessenden Diskussion wurde klar: Das Thema trifft einen Nerv. Besonders in Liechtenstein, wo der „alte Zopf“ der Stellvertretung immer wieder zur Debatte steht, bot der Vortrag wertvolle Denkanstösse. Fricks vergleichender Ansatz zeigte, dass Liechtenstein mit seinem Modell keineswegs allein steht – dass aber durchaus Spielraum für Reformüberlegungen besteht.

Fazit: Der Vortrag von Karin Frick machte deutlich, dass die parlamentarische Stellvertretung kein statisches Konstrukt ist, sondern ein Spiegelbild politischer Werte und Vorstellungen von Repräsentation. Und dass es sich lohnt, bestehende Modelle im Licht internationaler Entwicklungen neu zu bewerten.

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