Der Fotograf und Reporter Till Mayer zeigte gestern in der TAK-Lounge, wie Krieg das Leben von Menschen zerreisst. Mit ruhiger Stimme führte er das Publikum durch zerstörte Städte, über Frontlinien und in Kellerräume, in denen Soldaten um Minuten Schlaf kämpfen.
Mayer reist seit vielen Jahren in die Ukraine. Er begleitet Soldaten, besucht zerstörte Orte und trifft Menschen, die die Langzeitfolgen von Gewalt tragen. Seine Bilder erzählen vom Überleben, nicht von Sensation. „Ich versuche, den Menschen ihre Würde zu lassen“, erklärte er. Dieser Anspruch prägte den gesamten Abend.
«Meine Aufgabe ist es, diesen Krieg zu dokumentieren»
Till Mayer
Besonders eindringlich sprach Mayer über seine Einsätze in Bachmut. Die Stadt lag im Frühjahr 2023 unter dauerndem Beschuss. Einschläge im Halbminutentakt, Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt, Wohnblöcke, die zu Ruinen wurden. Mayer begleitete dort eine kleine Einheit, die sich im Keller eines Wohnhauses verschanzt hatte.
Er berichtete von Soldaten, die seit Tagen keinen Schlaf gefunden hatten, und von Verwundeten, die sich selbst aus zerstörten Gebäuden retteten. Stabilisierungspunkte, die verletzte Soldaten versorgen sollten, gerieten immer häufiger selbst unter Beschuss. Mehrere Mitarbeitende des medizinischen Personals starben später bei Angriffen. Mayer betonte, wie sehr solche Erlebnisse seine Arbeit formen: Er dokumentiert Krieg, steht aber stets neben Menschen, deren Risiko ungleich höher ist.
Drohnenkrieg: eine neue, unsichtbare Bedrohung
Mayer erklärte, wie der Krieg sich verändert hat. Drohnen bestimmen zunehmend das Geschehen an der Front. Sie beobachten, markieren Ziele oder tragen Sprengstoff. Soldaten und Zivilisten leben damit in ständiger Anspannung. Ein kurzer Blick in den Himmel kann über Leben und Tod entscheiden.
Ein Beispiel zeigte er anhand einer nächtlichen Mission in einer verlassenen Frontstadt. Ein Drohnenteam transportierte unter völliger Dunkelheit Lebensmittel und Munition. Die Männer arbeiteten rasch, immer im Bewusstsein, dass jederzeit eine russische Drohne auftauchen kann. Mayer begleitete sie durch zerstörte Gebäude, in denen nur der Funkverkehr die Stille durchbrach.
Zu den eindrucksvollsten Momenten des Abends gehörten Mayers Schilderungen von Evakuierungen. Immer wieder holt er mit Freiwilligen ältere Menschen aus Städten, die kurz vor der Zerstörung stehen. Manche wollen ihre Wohnungen nicht verlassen, weil ihr ganzes Leben dort liegt. Andere wissen schlicht nicht wohin.
«Viele bleiben dann wirklich bis in der Nachbarwohnung eine Granate einschlägt.»
Till Mayer
Er erzählte von drei alten Frauen, die Helfer durch den Schnee zu einem Auto schoben. Wenig später kreiste eine russische Drohne über ihnen. Für die Frauen war es ein Abschied ohne Gewissheit: Niemand wusste, ob ihre Häuser noch stehen, wenn sie eines Tages zurückkehren.
Kiew: Angriffe, die zum Alltag geworden sind
Auch die Hauptstadt bleibt nicht verschont. Mayer dokumentiert regelmässig nächtliche Raketenangriffe. Er filmt vom Balkon, weil jeder Einschlag Spuren hinterlässt, die sichtbar werden müssen. Am Tag danach fährt er an die Orte, an denen Menschen unter Trümmern ausharren und auf Nachrichten ihrer Angehörigen hoffen. Viele wissen längst, dass die Chancen gering sind.
Die Luftabwehr Kiews fängt zwar einen grossen Teil der Raketen und Drohnen ab. Doch ein kleiner Teil trifft weiterhin Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser. In Dörfern ohne Schutz richten Angriffe noch grössere Schäden an.
Ein Vortrag, der bleibt
Mayer berichtete ohne Pathos, ohne grosse Gesten. Seine Fotos und seine klaren Sätze wirkten gerade deshalb umso stärker. Er sprach über Menschen, nicht über Statistiken. Über Freundschaften, die in Trümmern entstanden sind. Über Angst, Mut und Ausdauer.